Selbstorganisation / Holokratie löst nicht alle Probleme – und wird oft selbst zum Problem!
Zusammenfassung: Selbstorganisation, Agilität, VUCA sind die aktuellen Buzzwords der Beratungsszene. Ihre Praxistauglichkeit wird aber überschätzt. Am Beispiel des bekanntesten Modells, der sog. Holokratie (engl. Holacracy) zeige ich die Herausforderungen der Selbstorganisation. Meine Schlussfolgerung ist, dass Selbstorganisation ohne fundierte Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter und Führungskräfte nicht funktionieren wird.
Das selbstorganisierte Paradies
Wenn man aktuellen Publikationen glaubt, scheint auf die Unternehmen eine Bewegung der Selbstorganisation und Demokratisierung zuzukommen. Junge Start-ups wie Soulbottles oder Dark Horse, aber auch langjährig erfolgreiche Unternehmen wie Haufe-Umantis wollen keine old-school Chef-Mitarbeiter-Hierarchie mehr. Sie suchen neue Formen der Zusammenarbeit, die ihrem Selbstverständnis an kollegialer Zusammenarbeit und Unternehmensführung mehr entsprechen. Selbst gestandene Konzerne wie die Deutsche Bahn probieren sich an der Selbstorganisation. Diese Entwicklung ist allerdings nicht neu wie Stefan Kühl betont, Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld.
Die neuen Organisationsmodelle versprechen mehr Autonomie, Gleichberechtigung und Respekt in der Arbeitswelt. Die Voraussetzungen und Stolperfallen dabei werden dabei übersehen. Meine Skepsis ist nicht theoretischer Natur, sondern gründet sich auf 20-jährige Erfahrung mit selbstorganisierenden Teams und Gruppen. Ich weiß, wie schwierig die Ansprüche von Selbstorganisation in der Praxis zu vereinbaren sind; wie viel Erfahrung, Persönlichkeits- und Gruppenentwicklung es braucht, bis eine effektive Selbstorganisation realistisch ist. Auch in meiner Beratungstätigkeit in Unternehmen hat sich gezeigt, dass die Herausforderungen nicht einfacher werden und manchmal gerade durch die neuen “New Work-Strukturen” hervorgerufen werden.
Eine große Vision — mit Stolperfallen
Frederic Laloux´ “Reinventing Organizations” wurde zur Referenz einer Bewegung, die mit Selbstorganisation, Schwarmintelligenz und New Work die Unternehmensführung revolutionieren will. Und sie haben dafür gute Gründe und Argumente. Laloux` Bestseller zeigt ermutigende Beispiele erfolgreicher — mehr oder weniger selbstorganisierender — Unternehmen, von produzierendem Gewerbe, Schulen bis zum Gesundheitsbereich. Die Beschreibung hoch motivierter Mitarbeiter und einer kundennahen und wandlungsfähigen Organisation sind inspirierend und mutmachend.
Tatsache ist aber auch: Zwei der zwölf bei Laloux (“Reinventing Organizations”) genannten Organisationen sind wieder zu einem traditionellen Top-Down-Managementsystem zurückgekehrt (das erwähnt Laloux auch). Andere Unternehmen, die das Selbstmanagementsystem Holokratie einführen wollten, haben dies angesichts der komplexen Regeln und auftretender Konflikte wieder aufgegeben. Auch das Vorzeigebeispiel des Internetversands Zappos ringt mit Demotivation, einer Kündigungswelle und Widerstand gegen das neue System.
Ohne persönliche Reife keine Organisationsreife
Holokratie, Soziokratie oder andere Formen der Selbstorganisation haben eine steile Lernkurve. Viele projizieren daher in Laloux’ Beispiele ein viel zu rosafarbenes Bild von “New Work” und der “Zukunft der Arbeitswelt”.
Ich beziehe mich in meiner Kritik auf die Holokratie, weil dieses Modell zur Zeit der bekannteste Vertreter der selbstorganisierenden Unternehmensstruktur ist und viel diskutiert wird. Holokratie ist die vor allem marketingmäßig aufgemotzte Kopie der “Soziokratie”, eine vom niederländischen Unternehmer Gerard Endenburg in den 1980er Jahren begründete Organisationsstruktur. Auf diese, zu Recht, kritisierte Entwicklungsgeschichte hat schon Andreas Zeuch in seinem Buch “Unternehmensdemokratie — Keine Macht für Niemand” und auf seinem Blog hingewiesen.
Meine Kritik trifft aber nicht allein auf Holokratie zu. Sie betrifft grundsätzliche die Idee der Selbstorganisation in Gruppen und Organisationen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Selbstorganisation ohne Persönlichkeitsentwicklung der Führung und Mitarbeiter funktioniert. Das hören meist weder Unternehmen noch Organisationsberater gerne, denn die persönliche Entwicklung von Menschen dauert länger und ist weitaus komplexer als das Überstülpen eines neuen Organisationsmodells.
Selbstorganisation durch Holokratie: Individuelle Entscheidungs- & kollektive Gestaltungsmacht
Holokratie und ähnliche Modelle versuchen die Entscheidungsprozesse und damit die hierarchische Macht innerhalb einer Organisation besser und effektiver zu organisieren. Besser und effektiver bedeutet hier: Weg von der Entscheidungsmacht an der Spitze einer Organisation, hin zu einer hohen Entscheidungsautonomie für den Mitarbeiter.
Reguliert wird diese individuelle Entscheidungsmacht durch Konsens-Entscheidungen in sog. “Kreisen”. In den Kreisen werden über eine Vertreter/Abgeordneten-Struktur der Informationsfluss in der Organisation vernetzt. Das Ganz soll zu einer “Diffundierung der Macht” im Unternehmen führen. Zu den versprochenen Vorteilen gehören mehr Engagement und Beteiligung der Mitarbeiter, höhere Reaktivität auf Marktänderungen, mehr Kundennähe usw.
Problematisch: Der Mensch a’ la Holokratie
In der Holokratie gibt es zwei Postulate, die laut Begründer Brian Robertson, die Genialität seines Systems ausmachen. Aus meiner Sicht sind dies sehr fragwürdige Forderungen an den Menschen und seine Kommunikation.
“Role, not Soul!”
Robertson beschreibt in seinem Buch “Holacracy”, dass ein wesentliches Kriterium die strikte Trennung der Rolle, die ein Mitarbeiter ausfüllt, von seiner Person, seinen Befindlichkeiten und seinen Interessen ist:
Holacracy focuses on clearly differentiating individuals from the roles they fill. The organization’s structure is defined by the roles the organization needs to pursue its purpose, without reference to the particular individuals in the organization. (Robertson, Holocracy, Position 609)
(Eine Anmerkung nur am Rande: Ich finde es rätselhaft, dass gerade die New-work-Bewegung, die so großen Wert auf Ganzheit (“Wholeness”) der Menschen am Arbeitsplatz legt, nun einem Organisationsparadigma huldigt, das auf die strikte Trennung von Arbeitsrolle und Person setzt!)
Aber meine Kritik ist eine andere: Meine Erfahrung ist, dass die geforderte “Trennung von Rolle und Person” den Menschen überfordert.
Menschen identifizieren sich mit ihrer Tätigkeit — je mehr sie ihnen gefällt, umso mehr. Sie ziehen (auch) Selbstwert aus ihrem Tun und die Qualität der Arbeit steigt gerade durch diese Identifikation. Auch bezieht ein Mensch Rückmeldungen zu seiner Arbeit nicht allein auf seine Funktion oder Rolle, sondern nimmt diese immer auch persönlich. Natürlich hat dies nicht nur Vorteile. Aber der Versuch, Rolle und Person komplett zu trennen, kann nur scheitern. Dies ist unrealistisch und wird dem Menschen nicht gerecht.
“Controle, don`t talk!”
Wenn die Trennung Rolle/Person funktionieren würde, wären Menschen bei Entscheidungen im Unternehmen nicht persönlich involviert, sie hätten keine persönlichen, irrationalen Gefühle, Gedanken, Wünsche etc. Somit wäre die Entscheidung ein programmierbarer Algorithmus, der kühl Daten und Fakten im Sinne des Unternehmenszwecks abwägt. Das ist offensichtlich auch das Ziel des Programmierers Brian Robertson. Mitarbeiter geben ihre Persönlichkeit nicht am Firmentor ab. Wir dürfen Menschen nicht zu kontrollierbaren Algorithmen reduzieren.
Da diese strikte Trennung Rolle/Person nicht funktioniert — selbst in Robertsons Musterfirma nicht (die nicht mehr existiert) musste er in der Holokratie darüber hinaus ein komplexes Regelwerk einführen, um die Kommunikation im Unternehmen seinen Vorstellungen gemäß kontrollieren und steuern zu können!
Diese Regeln werden in der sog. “Holokratischen Verfassung” festgelegt, ein umfangreiches Werk, das das holokratische Verständnis von “Rollen”, “Kreisen”, “Links” etc. definiert und die Entscheidungsfindung detailliert regelt. So gibt es Regeln, welche Themen in welchem Setting besprochen werden dürfen und welche nicht (organisatorische, operative oder strukturelle Fragen). Es gibt Regeln, wie jedes Thema einzubringen ist, wer, wann, was dazu sagen darf und was nicht. Das alles soll durch einen, von HolocracyOne (Robertsons Firma) geschulten Moderator streng verfassungsgemäß ablaufen. Ohne eine komplette Übernahme dieser Verfassung, so Robertson, sei eine funktionierende Holokratie nicht möglich.
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Zwei holokratische Konstruktionsmängel
Es bleibt nicht ohne Folgen, dass beide Systeme, Holokratie und der Vorläufer Soziokratie, von einem Ingenieur bzw. einem IT-Techniker entwickelt wurden. Gerard Endenburg (Soziokratie) ist Elektroingenieur, ihn fasziniert die Kybernetik (Wissenschaft der Selbststeuerung). Brian Robertson (Holokratie) ist IT-Experte und Programmierer.
Beide Modelle vertreten ein hyper-rationales, computerähnliches Menschenbild. Robertson versucht den Menschen als Mitarbeiter in einen Algorithmus zu pressen, alles natürlich für den höheren Zweck, den “Unternehmenspurpose”.
Problem Nr. 1: Holokratie hat ein falsches Verständnis von Unternehmenskultur
Anders als die Holokratie uns glauben macht, haben Unternehmen kein computerähnliches Betriebssystem. Und Menschen sind keine mathematischen Algorithmen. Der gerne — aber falsch — verwendete Vergleich mit dem Betriebssystems eines Computers führt völlig in die Irre.
Die technische Sichtweise der Holokratie lautet: So etwas wie Unternehmenskultur, das “Innenleben” einer Organisation, existiert gar nicht, nach dem Motto: Was man nicht messen kann, kann es auch nicht geben. Und falls es doch existiert, wird es als Black-Box betrachtet, über deren innere Funktion man nichts sinnvolles aussagen kann. Kultur “passiert” irgendwie.
Man kann das Betriebssystem eines Computers ohne Probleme über Nacht updaten — ganz im Gegensatz zur Kultur eines Unternehmens, wo der Wandel Monate und manchmal Jahre dauert! Die Computer-Analogie ist natürlich ein tolles Marketinginstrument der Holokratie, für die Organisationsberatung ist es jedoch völlig ungeeignet!
Diese rational/technische Perspektive der Holokratie auf Unternehmenskultur führt dazu, dass Robertson sich keine nennenswerten Gedanken darüber macht, wie ein solch ein radikaler Systemwandel sinnvoll im Unternehmen eingeführt werden kann. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Internethändler Zappos. Hier wurde Holokratie auf Geheiß des Gründers Tony Hsieh top-down und gegen sehr frühen und auch heftigen Widerstand der Mitarbeiter eingeführt. Dementsprechend haben 30% der Zappos-Mitarbeiter das Unternehmen im Laufe des Einführungsprozesses verlassen. Ich halte es für paradox, wie hier ein komplexes Organisationssystem von oben herab über Menschen gestülpt wird, die dann “autonomer und selbstverantwortlicher” agieren sollen.
Problem Nr. 2: Holokratie hat ein falsches Menschenbild
Holokratie versucht in verschiedener Weise die Individuen und ihr Ego von den wahrgenommenen Rollen zu trennen („dividing role and soul“). Die persönlichen Interessen sollen keine Relevanz erhalten, im Vordergrund soll die Sichtweise der Rolle im Hinblick auf den gemeinsamen Zweck stehen.. (Quelle Blog Intrinsifyme).
Robertson versucht durch die Trennung Rolle/Person und umfangreiche Kommunikationsregeln das “typisch Menschliche” in den Griff zu bekommen. Effizienz, Schnelligkeit und Sachorientierung sollen — um jeden Preis — im Mittelpunkt stehen. Robertson wäre es am liebsten, die Mitarbeiter würden reibungslos funktionieren wie Computer.
Dieser Ansatz ist zum Scheitern verurteilt! Menschliche Beziehungen und Kommunikation wird von großteils unbewussten Gefühlen, Bedürfnissen, Werten und Normen, dem sozialen Einfluss durch Beziehungen, der Biografie, nicht zu vergessen dem blinden Zufall und unabwendbarem Schicksal beeinflusst. Holokratie möchte die menschlichen Faktoren rational beherrschbar machen. Der Mensch und seine Kommunikation ist aber nicht regel- und kontrollierbar wir ein Computerprogramm.
Bessere Kommunikation bedingt Bewusstseinswachstum!
Das menschliche Bewusstsein und die Kommunikation entwickeln sich durch verschiedene Phasen. Diese unterscheiden sich u.a. in der Fähigkeit der Selbstreflektion, der Fähigkeit verschiedene Perspektiven einnehmen zu können etc. Es ist ein häufiger Fehler Kommunikation unabhängig von der Persönlichkeitsentwicklung zu betrachten und “verbessern” zu wollen. Ein ebenso häufiger Fehler ist es, Persönlichkeitsentwicklung durch Strukturentwicklung ersetzen zu wollen.
Wie alle Modelle der Selbstorganisation benötigt Holokratie reflektierte, selbstverantwortliche — “reife” Erwachsene. Je weniger “Führung” (im Sinne von Anweisung) in einer Organisation ist, umso höher sind die Anforderungen an die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter. Wer dies übersieht, wird mit den hehren Ansprüchen von “New Work” und Selbstorganisation scheitern.
Weiterführende Links:
Der Trugschluss der Unternehmensentwicklung: Struktur ist kein Ersatz für Persönlichkeitsentwicklung
Führung auf Augenhöhe — wie geht das?
Ein Artikel von Markus Fischer, Dipl. Volkswirt, Berater bei Kultur-wandeln.de.
Wenn Sie mich direkt erreichen möchten: Email an fischer@kultur-wandeln.de oder rufen Sie mich an: +49 (0)157 75 22 88 23.
Ich stimme all dem zu und das als jemand, der 17 Jahre lang eine Golfschule (bis zu 25 Mitarbeiter) gewaltfrei geführt hat. Gewaltfrei hieß, es gab keine Forderungen nur Bitten. Keiner meiner Lehrlinge musste Unterricht hospitieren. Dienste wie das Hütten-Reinigen waren freiwillig. Die Anwesenheit bei Weiterbildungen war freiwillig etc.
Meine Erfahrung: Das läuft super mit reifen Mitarbeitern und die Noch-nicht-so-Reifen überfordert das. Da haben manche nur wenig gelernt und ich bin sicher, dass die mit einem Chef besser bedient wären, der ihnen manchmal in den Hintern getreten hätte. Aber ich habe schon in jedem Vorstellungsgespräch davor gewarnt und jedem gesagt, dass Hinterntreten bei mir nicht im Angebot ist.
Was ich auch ablehne, ist jegliche Art von Mitarbeiterentwicklung. Da bin ich ganz bei Reinhard Sprenger. Entwicklung fand natürlich ganz normal statt, aber ich sehe nicht, dass der Manager einen Erziehungsauftrag hat.
Meine Golfschule gibt es seit dem 1.1.17 nicht mehr, aber nicht, weil das nicht funktioniert hätte, sondern weil der Golfclub gekauft wurde und die neue Führung nichts von meinem Modell hielt. Jetzt gibt es am gleichen Ort eine konventionelle Golfschule und ich werde mit Spannung beobachten, wie sich die so entwickelt.
Ich arbeite jetzt komplett selbstständig immer noch an der gleichen Stelle. Was ich immer noch umsetze: GfK im Verhältnis zum Kunden. Die Rechnung ist bei mir immer noch eine Bitte und keine Forderung.
Wer nichts zahlen will — oder weniger —, weil er nicht 100% zufrieden ist, kann das tun.
Das wurde in 17 Jahren übrigens in unter 1 Promille der Fälle genutzt.
Vielen Dank für Deinen Kommentar, Oliver. Ob Führung einen Erziehungsauftrag hat, oder nicht, ist eine interessante Frage. Den radikalen Ansatz Sprengers teile ich nicht. Auch Führung kann kann (und muss) aus meiner Sicht Mitarbeitern Entwicklungsimpulse geben. Fachlich wird dies akzeptiert, warum nicht auch sozial? Wenn Führung im wesentlichen eine soziale Aufgabe ist, muss Führung auch da tätig werden. Dieser Impuls ist oft eine Anregung (oder Bitte) – manchmal muss es auch eine Forderung sein (oder man muss sich trennen).
Viele Grüße, Markus
Ein spannender Artikel. Danke. Ich habe vor geraumer Zeit ebenfalls einen Beitrag verfasst, in welchem ich die Probleme der mir bekannten klassischen Organisationsmodelle untersucht habe und dabei auf ein leider oft unbekanntes transklassisches Modell, dem Viable System Model, verwiesen.
http://blog-conny-dethloff.de/?p=3694
BG, Conny
Vielen Dank für den Kommentar und den Hinweis – das schaue ich mir gerne an!
Viele Grüße!
Vielen Dank für diesen sehr guten Beitrag, dem ich aus gut 20 Jahren Gruppendynamik-(Selbst-)-Erfahrung (davon 10 Jahre als Ausbilder für Gruppendynamik) nur voll zustimmen kann.
Hinzufügen möchte ich lediglich, dass das Thema (Führungs-) Autorität in selbstorganisierten Strukturen (aber nicht nur dort) unbedingt bewusst thematisiert werden sollte. Denn bei Holokratie wird Autorität beispielsweise an ein „System“, an „Prozesse“ abgegeben. Das kann schnell autoritär (wenn nicht sogar totalitär) werden, wenn die Ethik der handelnden Menschen dazu nicht passt (Reife). Dann kommt man dem »stahlharten Gehäuse der Hörigkeit« wieder sehr nahe, nur eben heterarisch organisiert.
Und David Graeber hat sehr gut herausgearbeitet, dass bürokratische Systeme (so wirkt insbesondere Holokratie auf mich) Gewalt in der Wirkung erzeugen …
https://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft_/_Politik/Buerokratie/69980
Vielen Dank für Ihren Kommentar! Ihrer Einschätzung in Bezug auf die möglichen Gefahren die diesen Strukturen inhärent ist, kann ich nur zustimmen.
Grundsätzlich eine gute Zusammenfassung der Gefahren im selbstorganisierten Organisationsframework.
Die enorme Relevanz der Persönlichkeitsentwicklung und Unterstützung dabei, sehe ich jedoch nicht nur als unzureichend in Holacracy oder dergleichen, sondern auch in klassisch strukturierten Hierarchien. Sobald Mitarbeiter Veränderungen ausgesetzt sind (und das sind sie heute durch die Beschleunigung der Märkte, Kundenanforderungen, Führungskräftewechsel, …) ist eine reife Persönlichkeit gefragt, die damit umgehen kann und bestellnfalls Veränderungen als Weiterentwicklungsimpuls nutzen kann. Diese Fähigkeit lernt man zum einen nicht von heute auf morgen und zum anderen kann Unterstützung unabhängig vom Organisationsframework erfolgen. Wir haben im Unternehmen beispielsweise explizit Rollen geschaffen. Dies macht zum einen transparent, dass dieses Thema wichtig ist und zum anderen beschäftigen sich Menschen in diesen Rollen mit genau dieser Unterstützungsleistung.
Eine äusserst sorgfältige Kritik an Holakratie bzw. an der allgemeinen Selbstorganisations-Bewegung, und wertvolle Hinweise auf das, was es wirklich braucht, damit sich – wie ich es nenne – Mensch und Organisation konstruktiv in Richtung Selbstorganisation entwickeln können. Das ist nämlich, so meine ich, kein „Konzept“, sondern ein evolutionärer Prozess, der in Gang ist, aber achtsam gestaltet werden muss.
Vielen Dank für Ihren Kommentar! Freut mich zu lesen, dass es ähnlich Denkende gibt.
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, kam es mir nicht so vor als würden Menschen wie Computer betrachtet. Holacracy selbst sagt ja, dass es nur auf organisatorischer (Governance) und operativer (Tactical) Ebene Vorlagen bietet und jedem Unternehmen völlig frei lässt, wie Beziehungs- und individuelle Ebene gestaltet wird. Entsprechend würde ich das nicht als Nachteil des Frameworks benennen, sondern da eher eine Bringschuld bei den Organisationen selbst sehen. Ich bin überzeugt, dass Holacracy nicht überall funktioniert, vor allem, wenn halbherzig implementiert oder falsch interpretiert. Aber wenn man sich Themen wie Meetings in Unternehmen anschaut, dann ist es schon sinnvoll a) ein Kategorisierung von Inhalten und b) einen strukturierten Prozess dafür einzuführen. Dabei bedient sich das Framework ja auch keinen krassen Neuerfindungen, sondern eher good practices (z.B. Tactical Format), die schon sehr lange existieren. Auch bringt das Framework beide Perspektiven unter einen Hut „ich möchte an der Organisation mitarbeiten“ und „ich will einfach nur meinen Job machen“.
Deswegen glaube ich, ist die Kritik mit Vorsicht zu genießen – ähnlich wie ein top-down-Überstülpen von irgendwelchen Frameworks.
Danke für den Bericht, meine Sichtweise geht in diese Richtung:
Sehr interessante Darstellung. Leider scheitern darin auch sehr viele Organisationen, was wahrscheinlich nicht einfach mit mangelnder Beratung und Professionalität zu tun hat. Ich gehe nach einigen Erfahrungen davon aus, dass teilweise das Bewusstsein nicht ausreichend war für:
– die Wurzeln (eigene Organisationsgeschichte)
– Entwicklungsgesetzmässigkeiten
– Grundsatzdiskussionen bezüglich Werte
Schöner Beitrag. Vielen Dank. Darf ich auf das folgende Buch hier hinweisen, in dem Buch wird holocrazy auch kritisch reflektiert
https://www.askepticshrdictionary.com/
PATRICK VERMEREN
A SKEPTIC’S HR DICTIONARY
The ultimate self-defense guide for CEOs, HR professionals, I/O students and employees
Lieber Markus,
Danke für diesen aufschlussreichen Artikel. Es sind viele Aspekte angerissen, die in alternativen Netzwerkstrukturen beachtet werden müssen, wenn es besser laufen soll, als mit einem herkömmlichen Management. Ich werde Deinen Text im GFK-plus Netzwerk „Marshalls Welt von morgen“ verlinken, und zwar in der geschlossenen GFK-plus Anwender*innen-Gruppe.
https://gfk-plus-netzwerk.mn.co/feed
Gabriel
Warum denkt man immer das eine schließt das andere aus? In der Realität gibt es keine „reinen“ Strukturen, denn eben wie erwähnt geht es um Menschen…… aber aus der Sicht eines Unternehmers sollte dieser sich überlegen, wenn wenn es Themen gibt die offensichtlich nicht sein müssten, warum dann nicht die Dinge, die Schlüssel aus solchen Strukturen nehmen, um das Schloss zu öffnen und das Potenzial wieder fließen lassen…….. es wird immer sehr / zu fokussiert gedacht. Aus dem Grunde hängt Deutschland auch immer hinterher……Grüße Jenny
Danke für den interessanten Beitrag. Dass solche Prozesse langfristig gedacht werden müssen und dass eine Lernbereitschaft da sein muss (zumindest ein Mindestmass an Offenheit, sich selbst zu entwickeln), damit Transformation möglich ist und solche Wege Erfolge bringen, ist ganz wesentlich. Soziokratie ist ein Weg und nichts, was da ist und auf einmal von alleine funktioniert. Holokratie ist nicht mehr das gleiche wie Soziokratie und es gibt doch markante Unterschiede. Was ich aber unbedingt korrigieren möchte: Soziokratie wurde nicht von Gerard Endenburg entwickelt. Sie haben dies als bezeichnend dargestellt, dass beides von Technikern entwickelt wurde. Das ist so nicht richtig. Endenburg ging bei Kees Boeke und Bearice Cadbury zur Schule, wo er schon Soziokratie lernte. Soziokratie war immer ein Friedensprojekt: jede:r wird gehört, niemand wird übergangen. Und dort, wo wir gemeinsam betroffen sind, treffen wir unsere Entscheidungen gemeinsam. Kees Boeke und Beatrice waren Friedensaktivisten und gründeten gemeinsam eine Schule, wo sie auch während dem NS-Regime jüdische Kinder aufnahmen und unterrichteten, das war einer ihrer Beiträge zum Frieden. Der Essay „Keine Diktatur“, mit dem Kees Boeke (Pädagoge) 1945 erwischt wurde, wurde später veröffentlicht unter dem Titel „Soziokratie – Demokratie wie sie sein könnte“. Menschen haben ganz mit Haut und Haar und Gefühlen Platz. Kennen sie die indischen Nachbarschafts- und auch Kinderparlamente, die zu zig hunderten, tausenden in soziokratischen Kreisen selbstorganisiert sind? Das ist nicht technische Entmenschlichung, sondern Empowerment, eine echte Bewegung! Endenburg ist bekannt für die SKM, die eine ganze Organisationsform ist. Sie kommt mir nur vier Prinzipien aus, die aber alle eng zusammenhängen. Ich glaube, dass es diese Grundbereitschaft braucht, lernen zu wollen, zumindest ein Offenheit dafür, einiges passiert aber auch einfach durch die Struktur: sich gegenseitig zuhören lernen, Kooperation, Vertrauen, Verbundenheit, Verantwortung, etc.
Es braucht viel Aufmerksamkeit, um die SKM top down einzuführen, es geht nicht von selbst, es braucht volles Commitment und Vorbild von oben und genügend Zeit und Bereitschaft, dass die Menschen in Organisationen dies auch lernen, verstehen und damit umgehen können. Und wie sie gesagt haben, ganz wesentlich dabei ist es – insbesondere für mich als externe Soziokratieberaterin – neben den organisatorischen gut auf die ganzen menschlichen Dinge zu achten und diese sorgsam zu begleiten. Und die Menschen in der Organisation zu stärken – auf allen Ebenen!