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Der Trugschluss der Unternehmensentwicklung: Struktur ist kein Ersatz für Persönlichkeitsentwicklung

von | Feb 3, 2016 | Allgemein, Persönlichkeitsentwicklung, Reinventing Organizations, Unternehmenskultur | 4 Kommentare

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Zusammenfassung

Neue Organisationsformen und Unternehmensstrukturen (Scrum, Holakratie, Demokratie etc.) können die  Persönlichkeitsentwicklung von Führungskräften und Mitarbeitern nicht ersetzen. Struktur- und Persönlichkeitsentwicklung bedingen sich gegenseitig, haben aber völlig unterschiedliche Bedingungen und Vorgehensweisen.

Strukturentwicklung ist organisatorisch kompliziert (Implementierung vieler neuer Regeln), kann aber relativ schnell umgesetzt werden. Dabei gehen aber häufig die Mitarbeiter “verloren”,  weshalb Strukturentwicklung alleine nicht effektiv ist. Persönlichkeitsentwicklung ist psychologisch komplex, braucht Zeit, Erfahrung und Vorbilder. Reife Persönlichkeiten werden durch unpassende Unternehmensstrukturen jedoch demotiviert. Für den “evolutionären Sprung” von Unternehmen ist daher eine Hand-in-Hand gehende Struktur- und Persönlichkeitsentwicklung notwendig.

Soziale Evolution von Unternehmen lässt sich nicht aufhalten

Die Diskussion vitaler Unternehmensstrukturen hat Konjunktur: Das US-Unternehmen Zappos hat 2015 die sog. Holokratie (engl. Holacracy*¹) eingeführt, die fälschlicherweise oft als “Organisation ohne Hierarchie” dargestellt wird, was zu einigem Aufsehen geführt hat. Die Demokratisierung von Unternehmen ist Thema aktueller Bücher (Thomas Sattelberger „Das demokratische Unternehmen“, Andreas Zeuch „Alle Macht für Niemand“) und auch der große Erfolg des Buchs “Reinventing Organizations” von Frederic Laloux unterstreicht die Bedeutung des Themas. Dies zeigt, dass sich die soziale Evolution von Organisationen nicht aufhalten lässt. Solange wesentliche Bedürfnisse des Menschen nicht erfüllt werden (Autonomie, Authentizität und Sinnhaftigkeit) geht die Suche nach besseren Arbeitsformen weiter.

Demokratie ist keine Garantie für gute Zusammenarbeit

Da viele dieser vitalen Unternehmen auch ökonomisch recht erfolgreich sind, liegt der (Fehl-)Schluss nahe, dass das Erfolgsrezept nun lautet: „Wir brauchen eine neue, vitale Unternehmensstruktur“. Dabei übersieht man, dass die Organisationsform nur die eine Seite der (Entwicklungs-)Medaille im Unternehmen ist. Die andere Seite ist der Mensch mit seiner Persönlichkeit und Beziehungsfähigkeit. Diese beiden Entwicklungsbereiche, Struktur und Persönlichkeit, sind relativ unabhängig. Auch in einem demokratischen Unternehmen kann es ein schlechtes Arbeitsklima und Mobbing geben und auch in einer streng hierarchisch geführten Organisation kann beste Stimmung herrschen.

Bei der Entwicklung der Unternehmenskultur darf man sich deshalb nicht allein auf die Organisationsform (Struktur) konzentrieren, sondern muss sich genauso um die Persönlichkeitsentwicklung und die Arbeitsbeziehungen kümmern. Es geht daher im Kern weniger um die Fragen „(Flache) Hierarchie oder nicht?“,  “Chef oder nicht Chef?”, sondern darum, ob die (Arbeits-)Beziehungen den Mitarbeitern ausreichend Zusammenhalt, Unterstützung und Vertrauen geben, damit die Motivation erhalten bleibt, die für die Erfüllung der Ziele der Organisation notwendig ist. Strukturentwicklung kann Persönlichkeitsentwicklung nicht ersetzen (umgekehrt natürlich auch nicht). Beide haben sehr unterschiedliche Bedingungen und brauchen daher unterschiedliche Beratungsprozesse.

Unterschiedliche Bedingungen von Struktur- bzw. Persönlichkeitsentwicklung

Strukturentwicklung ist zwar kompliziert, da es die Einführung und Praxis vieler (neuer) Regeln braucht, aber sie ist in relativ schnellen Sprüngen möglich. In einem hierarchisch geführten Unternehmen kann die Führungsebene von heute auf morgen entscheiden, demokratische Entscheidungsstrukturen, Holakratie/Soziokratie oder ein anderes Modell einzuführen. Abgesehen davon, dass die formale Umsetzung etwas Zeit braucht, kann man eine Organisation also in relativ kurzer Zeit “updaten” – das ist der Grund, warum Unternehmensentwickler Werteseminare und ähnliches mögen; sie haben die Hoffnung, dass diese strukturelle Ebene ausreicht. Das stimmt jedoch nicht, man muss sich auch mit den Menschen beschäftigen (siehe auch „Warum Werteseminare wenig Wert haben„).

Persönlichkeitsentwicklung dagegen braucht Zeit, Kommunikation und Erfahrungsvorbilder. Persönlichkeitsentwicklung geschieht im wesentlichen durch „menschennahes Arbeiten“, also realistische, authentische Begegnung und Kommunikation und – sehr oft – durch die Transformation von Konflikten. Gerade am Thema Konflikte zeigt sich die Entwicklungsebene, je nachdem ob diese als „normal“ betrachtet, „unbeliebt aber notwendig“ oder völlig ausgeblendet und verdrängt werden. Die Entwicklungsstruktur eines Menschen lässt sich nicht beliebig schnell “updaten”, dies wird auch durch die Entwicklungsforschung u.a. von Forschern wie Jane Loevinger eindeutig belegt: Eine Mitarbeiterin, die ihren Entwicklungsschwerpunkt auf der “Gemeinschaftsbestimmten Stufe (E4)” hat, kann man nicht von heute auf morgen auf eine „Systemische Stufe (E8)“ bringen. Das ist unmöglich weil dazwischen drei Entwicklungsstufen liegen, die man nicht überspringen kann – genauso wenig wie man einem Kind von heute auf morgen das Laufen oder Lesen beibringen kann.

Vitale Unternehmen brauchen reife(re) Persönlichkeiten

Für die gesunde Funktion der sog. evolutionären Organisationsstrukturen sind reife Persönlichkeiten notwendig (im Modell nach Jane Loevinger vermutlich mindestens Stufe E7). Diese Tatsache wird von den Befürwortern evolutionärer Unternehmen oft übersehen. Auch der Erfolg des Buchs “Reinventing Organizations” von Frederic Laloux scheint mir nicht allein durch den zweifellos außerordentlichen Inhalt begründet; er wird wohl auch befördert durch eine romantisch überhöhte Hoffnung vieler Leser auf paradiesische Zustände in einer evolutionären Organisation. Demokratie, Soziokratie/Holakratie etc., sind jedoch Entscheidungsstrukturen die grundsätzlich eine hohe Selbstverantwortung, Rücksichtnahme, Selbstreflexion etc. voraussetzen.

Je kleiner die Organisation ist, desto höher sind die Anforderungen an den einzelnen Mitarbeiter (weil entwicklungsbedingte „Ausreißer / Störer“ in kleinen Gruppen viel größere Probleme verursachen). Außerdem steigt unserer Erfahrung auch die Konflikthäufigkeit mit wachsendem Entwicklungsgrad (strukturell wie persönlich), weil die Gespräche tendenziell offener und ehrlicher werden. Diese Konflikte sind notwendig für die Weiterentwicklung der Organisation notwendig, sie führen zum Ausgleich individueller Bedürfnisse und kollektiver Erfordernisse, aber nicht jeder kann automatisch konstruktiv damit umgehen. Strukturentwicklung ersetzt also nicht die Bewusstseins- bzw. Persönlichkeitsentwicklung von Führungskräften und Mitarbeitern, ganz im Gegenteil, beide sind notwendig aneinander gekoppelt.


*¹ Ehre wem Ehre gebührt: An Holokratie / Holacracy ist nur der Markenname neu, da es eine praktisch 100%ige Kopie der Soziokratie ist, die der Niederländer Kees Boekes (1884-1966) entwickelt und Gerard Endenburg 1970 erfolgreich in sein elektrotechnisches Unternehmen übertragen hat. Soziokratie ist eine Organisationsstruktur, die die Dezentralisierung von Entscheidungen und Autonomie der Mitarbeiter in den Vordergrund stellt. Darauf wird leider von den Holakratie Gründern nicht hingewiesen, siehe auch den Eintrag bei Wikipedia.

portrait markus 23_webEin Artikel von Markus Fischer, Dipl. Volkswirt, Berater bei Kultur-wandeln.de. Wenn Sie mich direkt erreichen möchten: Email an fischer@kultur-wandeln.de oder rufen Sie mich an:

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